Montag, 18. Februar 2013

Im Land der Freundlichkeit

„Hi, how has your day been?“, fragt mich die wildfremde Kassiererin an der Kasse des riesigen Supermarktes und lächelt mich an. Hinter mir stehen weitere Kunden in der Schlange und ich kann mir kaum vorstellen, dass jetzt Zeit für eine Unterhaltung ist.

Ich kenne keinen deutschen Touristen, der nicht tief beeindruckt ist von der Freundlichkeit der Neuseeländer. Es ist diese Zugewandtheit der Menschen, die man sich in Deutschland oft erst erkämpfen muss. Ein freundlicher, fragender Blick, eine einladende Geste; das Gefühl, dass es keine Eile gibt, weil ich jetzt wichtig bin. Das setzt sich fort in einer für uns ungewohnten Hilfsbereitschaft, bei der sich die Frage aufdrängt, wie viel davon ich eigentlich annehmen darf? Jeder, der Neuseeland bereist hat, könnte hiervon einige Geschichten erzählen. In der Regel beginnt die Erfahrung schon mit der Freundlichkeit der Grenzbeamten, die man in Deutschland fast nur mit „Spargesicht“ erblickt. Es geht weiter beim Autoverleih, auf der Straße beim Fragen nach dem Weg, im Museum, auf der Wanderung. Zusammen mit der atemberaubend schönen und vielseitigen Natur ist ein stürmisches Verlieben in dieses Land vorprogrammiert. Warum kann es nur nicht bei „uns“ so sein?

Freundlichkeit ist hier ein Lebensprinzip, eines der wesentlichen „Kleidungsstücke“ im Miteinander. „Ich möchte alles tun, damit es dir gut geht“, ist die Grundhaltung der Neuseeländer. Vielleicht vermischt sich hier die englische Höflichkeit mit der Wärme der Maori, verstärkt durch ein Gefühl des Aufeinander-Angewiesen-Seins in einem verhältnismäßig jungen Land. Das Gefühl, dass man sich gegenseitig braucht, hat sicherlich auch mit der früheren Abgeschiedenheit des relativ gering bevölkerten Landes zu tun. 
„Are you all right there?“ ist ein weiterer dieser einfühlsamen Sätze, die mir so lieb geworden sind. Ich werde das nicht nur im Kaufhaus gefragt, sondern auch wenn ich etwas unsicher meinen Weg suche und gewöhnlich bei der Arbeit, wenn ich gerade so aussehe, als ob ich Unterstützung brauchen könnte. „How can I help?“ Als ob der andere nichts zu tun hätte, habe ich schon manchmal gedacht. „How are you (today)?“ ist eine sehr typische, vermutlich die häufigste Form der Begrüßung in Neuseeland. Das ist manchmal irritierend, besonders für Deutsche, die noch nicht weit herumgekommen sind. Will der oder die andere das wirklich wissen? „Fine, thanks, and how are you?“ ist eine mögliche, aber nicht verpflichtende Antwort. Mit meiner deutschen Gründlichkeit tendiere ich dazu, diese Gegenfrage zu stellen. Ist nett, aber nicht unbedingt notwendig; die Kiwis machen das auch nicht immer. 
Dann erhebt sich noch die Frage, was ich antworten sollte, wenn es mir mal nicht so gut geht. Wenn ich im Rahmen des Begrüßungsrituals bleiben will, kann ich etwa antworten: „I‘m all right, thanks“ oder „Not too bad“, vermutlich noch ohne eine weitere Nachfrage zu riskieren. Mit „Not so good today“ oder „Miserable“ hätte ich klar die Linie überschritten, und die Reaktion wäre vermutlich eine besorgte, wenn nicht erschreckte Nachfrage in der Annahme, dass ich gerade um Hilfe bitte. Ich habe diese Antwort allerdings noch nie aus dem Mund eines Neuseeländers gehört. 
„How are you today?“, werde ich auch von den meisten meiner Patienten gefragt, die übrigens auf die Gegenfrage praktisch immer mit „Fine, thanks“ antworten, bevor sie mir ihre Beschwerden schildern. 
Zurück zum Alltag: Man wundere sich nicht, wenn sich aus jeder noch so zufälligen Situation ein kleines Gespräch ergibt. Die meisten Neuseeländer sind interessiert, woher du kommst, vielleicht auch, was du gerade vorhast und vor allem ob du dich hier wohlfühlst, und ob dir Neuseeland als Ganzes gefällt. Hier ist Gelegenheit, etwas von der Freundlichkeit zu erwidern. Es gibt wenig, was eine Situation angenehmer macht, als wenn man einfach ein wenig von dem durchblicken lässt, was einen an diesem Land so begeistert. Das darf ruhig persönlich sein, aber nicht zu kompliziert werden (also besser keine tiefschürfenden Analysen oder langen Aufzählungen). Dann folgt oft ein guter Wunsch und eine Ermutigung, und schon hat der Tag ein wenig Sonne abbekommen, egal wie der Himmel gerade aussieht.

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