Das traditionelle
Gesundheitsmodell der Maori ist ein Haus der vier Komponenten der
Gesundheit: Die spirituelle (Vorderseite), physische (Seitenwände),
psychische (Hinterwand) und die der Familie (das Dach).
In unserem Zeitalter
der Globalisierung machen wir uns oft nicht bewußt wie
unterschiedlich ein Konzept von körperlicher oder seelischer
Gesundheit sein kann.
Das
Gesundheitsverständnis der sogenannten “Naturvölker” kann
besonders unterschiedlich zusammengesetzt und hergeleitet sein, was
zu manchmal unerwarteten Verständigungsschwierigkeiten führt –
ganz tagtäglich im Sprechzimmer. Zu jedem Gesundheitskonzept gehören
andere Grundauffassungen, Glaubenssätze und oft auch Mythen (auch
unser “westliches” Gesundheitsverständnis enthält Mythen!). Da
Neuseeland ein zwar eher “westliches”, aber doch multikulturelles
Land ist, muss hier immer wieder an diese Unterschiede erinnert
werden - was auch getan wird. Dennoch erlebe ich den Fluß der
Medizinkultur immer noch recht einseitig, und zwar von
“fortschrittlich” zu althergebracht, traditionell – zu Unrecht,
wie ich meine.
In Anerkennung dieser
Unterschiede und um sie greifbar zu machen und herauszuarbeiten, hat
Dr. Mason Durie, ein neuseeländischer Arzt und Wissenschaftler, das
ursprüngliche Konzept der Maori in den 1980er Jahren eine gut
fassbare und heute sehr anerkannte und gebräuchliche Form gebracht.
Das “Haus der
Gesundheit” - Te Whare Tapa Wha. Dessen vier tragenden Strukturen
sind weiter unten beschrieben.
In unserer westlichen
Tradition meinen wir mit Gesundheit erst einmal einen intakten und
gut trainierten Körper. In diesem Körper kann dann ein gesunder
Geist “wohnen”. Das geflügelte Wort dazu: ein gesunder Geist in
einem gesunden Körper, “mens sana in corpore sano”, wie schon
die alten Römer sagten).
Zwar erkennt unsere
Medizin auch den Einfluß der “Psyche” auf den Körper an, aber
was denn Krankheit der Psyche bedeutet und woher sie kommt, ist uns
weniger klar, bzw. gehen die Auffassungen darüber weit auseinander.
Wir achten auf Bewegung
und gute Ernährung, oder? Und wir lieben es, Gesundheit zu messen:
in Blutdruck, BMI, Cholesterinspiegel, Blutzuckerspiegel,
kardiovaskulärem Risiko und Lebenserwartung. Und in diesen Belangen
schneiden heutige Maori durchschnittlich leider schlechter ab als
ihre weißen Gefährten – und es ist das erklärte Ziel des
neuseeländischen Gesundheitsministeriums, das zu ändern und die
Unterschiede soweit die möglich verschwinden zu lassen.
Im Verständnis der
Maori nun besteht Gesundheit aus einem einfachen System voneinander
abhängiger “Zustände” oder “Teile”, die nicht voneinander
zu trennen sind: die spirituelle, die psychische, die körperliche
und die “familienbezogene” Gesundheit. Dabei stellt die
spirituelle Gesundheit den wichtigsten Teil, sozusagen die Grundlage,
dar, oder die Perspektive, aus der Gesundheit am Ehesten betrachtet
wird.
Im folgenden übersetze
ich auszugsweise aus Mason Duries Buch Whaiora:
- Te taha wairua – die spirituelle Gesundheit:
Spiritualität ist für
gewöhnlich in der westlichen Kultur nicht Teil des
Gesundheitskonzeptes. Daher wird dieser Aspekt eigentlich überhaupt
nicht behandelt, es sei denn er wird ausdrücklich und individuell
zum Thema gemacht. Die westliche Gesellschaft hat kein eigenes
übereinkömmliches Konzept einer spirituellen Gesundheit, das sie
anbieten könnte. Dennoch gibt es sicherlich eine große
Variationsbreite innerhalb dessen, was ein Maori unter spiritueller
Gesundheit versteht – abhängig von der weiteren familiären
Umgebung in der er aufgewachsen ist und seinen persönlichen
Erfahrungen und Neigungen. … Die spirituelle Gesundheit wird aber
unter Maori generell als die wichtigste Voraussetzung für die
Gesundheit als Ganzes empfunden. Sie setzt eine Fähigkeit zum
Glauben vorraus, und die Fähigkeit, die Zusammenhänge zwischen der
individuellen Situation eines Menschen und seiner Umgebung zu
verstehen. Ohne spirituelles Bewußtsein und “Mauri”, was soviel
wie Lebensgeist oder Vitalität bedeutet, kann der Einzelne nicht
wirklich den Zustand der Gesundheit erreichen und wird immer
gegenüber Krankheit und Missgeschick anfällig sein.
2. Te taha hinengaro –
die seelische Gesundheit (Gesundheit der Gedanken und Gefühle) :
In der westlichen
Kultur wird zwischen dem gesprochenen Wort und den Gefühlen
unterschieden, wobei dem gesprochenen Wort mehr Wichtigkeit
zugemessen wird. Die Maori sehen das nicht so getrennt. Für sie
besteht Kommunikation aus mehr als den offensichtlichen Botschaften,
besonders wenn Sichtkontakt besteht. Sie lassen sich oft mehr durch
die unausgesprochenen Botschaften beeindrucken: eine subtile Geste,
Augenbewegungen, Gesichtsausdruck. In bestimmten Situationen können
Worte als zumindest überflüssig, wenn nicht sogar abwertend,
empfunden werden. (So wird verständlich, dass) Gesundheit als ein
Phänomen empfunden wird, das eher in der Beziehung entsteht als dass
es nur einen Zustand des Individuums selber darstellt. So wird eine
schlechte Gesundheit als Ausdruck des Zusammenbruchs der harmonischen
Beziehung zwischen dem Individuum und der weiteren Umgebung
betrachtet.
- Te taha tinana – die körperliche Gesundheit
Die körperliche
Gesundheit ist eine uns wesentlich vertautere Dimension der
Gesundheit. Im Unterschied zur westlichen Kultur gibt es jedoch eine
klarere Unterscheidung zwischen Tapu und Noa (tapu läßt sich am
ehesten mit “besonders, heilig, unberührbar”, noa mit
“gewöhnlich” übersetzen – Anm. des Übersetzers). Bestimmte
Körperteile, und der Kopf im Besonderen, werden als tapu betrachtet,
und Körperfunktionen wie Schlafen, Essen, Trinken und der Stuhlgang
sind mit einer ganz eigenen Bedeutung besetzt, von eigener
Wichtigkeit, die sich in der Erfordernis ganz verschiedener Rituale
widerspiegelt. Zum Beispiel fungiert Essen als eine Art Ausgleicher,
der Reste von Tapu oder Abstand z.B. zwischen Personen beseitigt.
Schlanke Körperformen
werden nicht unbedingt als erstrebenswerter oder höher angesehen als
rundliche, und Übergewicht wird nicht in dem Maße mit
gesellschaftlicher Ächtung belegt. So berichten im Gesundheitswesen
Tätige von Schwierigkeiten wenn es darum geht, Maori Patienten zum
Abnehmen zu bewegen. Vermutlich wäre es wirkungsvoller, mehr in die
Aufklärung über Gesundheitsrisiken zu investieren als persönliches
Schönheitsempfinden zur Triebfeder zu machen (dies wird allerdings
auch getan, muss man fairerweise sagen, Anm. des Übersetzers).
- Te taha whanau – die Gesundheit der Familie
Te taha whanau würdigt
die Bedeutung der weiteren Familie für die Gesundheit (bzw. ihren
Einfluß auf die Gesundheit des Individuums. “Whanau” geht dabei
über die Kernfamilie hinaus und bezieht zumindest Familie zweiten
Grades mit ein; Ergänzung des Übersetzers). Diese seine Familie ist
für den Maori das primäre System in dem er aufgehoben ist und von
dem er unterstützt wird. Sie bietet Fürsorge und Ernährung, nicht
nur im physischen Sinne, sondern auch im Sinne von kulturellem
Eingebundensein und emotionaler Unterstützung. Die in letzter Zeit
zunehmenden Berichte von dysfunktionalen Familien und Mißbrauch
schwächen diesen Punkt nicht ab, sondern unterstreichen im Gegenteil
seine Bedeutung. Für einen Maori sind schwächelnde Gesundheit des
Einzelnen ein Spiegel seiner Familie, und es liegt ihm durchaus nahe,
ihr die Verantwortung für die Erkrankung oder den Tod eines Menschen
zu geben, sogar dann wenn eine kausale Verbindung nicht
offensichtlich ist.
“Taha whanau” hat
mit Identität und Gefühl von Bestimmung zu tun. In der vielgelobten
“Selbstverwirklichung” und Autarkie kann ein Maori keine
Verheißung von Gesundheit zu erkennen. Von einander abhängig und
aufeinander-bezogen-sein (englisch: inter-dependence) empfindet er
als ein viel gesünderes Ziel, als nach Unabhängig zu streben
(englisch: independence)...
Die Grundlage und
durchgehendes Thema das Te Whara Tapa Wha – Modells ist
Integration. Die Gesundheit des Individuums ist eingefügt, eingebaut
in einen größeren Zusammenhang – die Grenze zwischen der
Identität des Individuums und der der Familie verschwimmt dabei
häufig. In ähnlicher Weise sind auch die Grenzen zwischen der
Wirklichkeit des Augenblicks und dem Spirituellen, zwischen Gedanken
und Gefühlen, dem Seelischen und dem Körperlichen, unschärfer
gezogen als in der Tradition des westlichen Denkens...
Auch nach eineinhalb
Jahrhunderten Kolonialisierung durch die Weissen halten die Maori
nach wie vor an der Überzeugung fest dass Gesundheit nicht in
simplen Zahlenwerten von Körpergewicht oder Blutdruck gemessen und
erfasst werden kann.
Quelle:
Mason Durie: Whaiora - Chapter
Five TIROHANGA MAORI - MÄORI HEALTH PERSPECTIVES
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