Samstag, 15. März 2014

A walk along the shores of Thames in March






Im Krankenhaus II

OK, now I have started as a doctor in the hospital again.
I am a registrar, or RMO, for rural hospital medicine. I don't know how much this tells you. A registrar is a doctor after graduation and heading for a certain speciality status – usually after the first two years of work as an SHO, I believe. The SHO, “senior house officer”, comes lowest in the hierarchy, then the RMO, and then the consultant (the specialist).
I am supposed to do a mix of work in the emergengy department, on the ward, in theatre, and performing ETT (exercise tolerance tests).
I am wanting to acquire a few more skills around managing emergencies and to be able maybe to work in a rural hospital environment again as a locum, e.g. overseas. This is why I have done this step back from my GP work.
I have largely recovered from my ankle injury now, working half days for the first two weeks and then full time. Until now, in my first week, I have only worked on the rehabilitation ward, with patients recovering from fractures and strokes under physiotherapy and occupational therapy.

It feels like a plunge into cold water without being able to swim properly. Everyone is nice but busy with their own stuff and rarely someone explains me anything in a systematic way. I have to figure out most things on my own, expected to continue the work of my predecessor who left just before I came. What I have to do I mostly learn by reading in the patient charts, observing the consultant when she does her ward round twice weekly and asking the SHO on ward (who is also quite new).
The other day I dropped something during the ward round, a chart or so, and she said with a smile: “you are fired”. I laughed and responded “I thought so” because that is just what went through my head....

Im Krankenhaus

“Schreib doch mal was über das neuseeländische Gesundheitssystem” ermunterte mich Jenny Menzel, die Lektorin von 360° Neuseeland, wissend dass das ja mein Metier sein müsste, als in Neuseeland arbeitender Allgemeinarzt. Ich schreibe jedoch immer lieber über meine persönlichen Eindrücke als objektive Recherchen anzustellen.
Nun hat es sich also ergeben dass ich selbst, durch einen Unfall, Patient geworden bin. Das ist, wie ich meine die beste Perspektive überhaupt um ein “Gesundheitssystem” zu beschreiben. Dabei muss ich einschränkend sagen dass es in Neuseeland einen hervorragenden Schutz für Unfallopfer gibt, den ACC, eine staatliche Unfallversicherung, die auch Touristen versichert - auch ohne dass diese dafür Beiträge zahlen müssen wohlgemerkt. Die Leistungen sind in etwa unserer Berufsgenossenschaft-lichen Unfallversicherung vergleichbar, mit dem Unterschied dass beim ACC auch Opfer privater Unfälle und sogar Gewalttaten versichert sind.
Die Aussicht hier vom Fensterplatz im 7. Stock des Waikato Krankenhauses in Hamilton ist fantastisch. Mein Blick streift über den Lake Rotoroa mit seinen seerosenbewachsenen Ufern Richtung Osten über die Ebene die die Stadt umgibt, Hausdächer zwischen den Bäumen; im Hintergrund zeichnet sich bläulich eine niedrige Bergkette ab. Durch das offene Fenster höre ich Vogelgezwitscher und Verkehrsgeräusche und ich sehe Tauben am gegenüberliegenden Trakt auf- und abfliegen. Ab etwa sechs Uhr abends beginnt sich der See mit Segelbooten zu füllen, die bis etwa halb acht wieder verschwinden, wenn die Stadt in ein orangefarbenes Abendlicht getaucht wird. Es ist Sommer in Neuseeland.
Nicht der schlechteste Ort also, um die bekannte neuseeländische Aufmerksamkeit und Fürsorge “hautnah” zu erfahren.
Angefangen hat alles vor gut einer Woche auf dem geschäftigen samstäglichen Wochenmarkt in Thames. Als wir uns gerade auf den Weg nach Hause machen wollten, wurde ich von einem rückwärts fahrenden Wagen angefahren und zu Boden geworfen. Ich saß auf der Straße und versuchte zu rekonstruieren was geschehen war. Die Schmerzen kamen erst später. Fassungslos starre ich auf meinen Knöchel, über dem ein großes Loch klafft. Der linke Unterarm schmerzt als erstes, sah aber normal aus. Ich kann nicht aufstehen.
Eine Frau mittleren Alters beugt sich über mich und sagt eindringlich und freundlich Dinge wie etwa: “Bleib ruhig, es ist alles OK. Schau da nicht hin. Willst du liegen? Hast du Schmerzen?” Ich höre auch andere Stimmen: “Ich hole einen Stuhl” - “ Der Krankenwagen kommt jeden Moment” - “Was macht dein Kopf?” Auch Fragen, um mein Bewußtsein zu prüfen. Die Art der Fürsorge beeindruckt mich sogar durch meinen Schockzustand hindurch, und ich fühle mich nicht verloren, auch wenn ich wie gelähmt bin. Als der Krankenwagen kam, stellen sich die Sanitäter vor und helfen mir vorsichtig in den Wagen. Immer wieder: Are you alright? Are you in pain?
Den Transport zum lokalen Krankenhaus in Thames erlebe ich wie im Traum: Übergabe zum lokalen Personal während die Trage geschoben wird. Ich höre nur Satzfetzen. Nein, nicht in den Wartesaal, ich werde gleich dem Arzt vorgestellt, einem Unfallchirurg aus dem Irak, wie ich im Verlauf erfahre. Er versorgt mich routiniert. Ich fühle mich in besten Händen, was auch an der Aufmerksamkeit der einfühlsamen Krankenschwestern liegt. Immer wieder schauen sie nach mir und meiner Frau, die mich begleitet hat. Immer wieder ein kleiner menschlicher Chat wie: wo seid ihr her, macht ihr hier Urlaub, und man darf gerne zurückfragen. Muhammad der Chirurg erzählt mir dass er das meiste seiner Erfahrung mit Verletzungen im Irak gelernt habe, und dass man sehr flexibel müsse, jede Verletzung sei anders. Er berichtete von Erfahrungen mit einem deutschen Kollegen: “Der arbeitet wie eine Maschine wenn es um Gelenkersatz geht, aber Verletzungen passen für ihn in kein Schema und er braucht dann ewig”. Aha, denke ich, gut dass wenigstens dieser Chirurg wohl weiss was er tut.
Man muss sagen dass die Ärzte sicher eine der internationalsten Berufsgruppen hier sind: sie sind zu mehr als 30% in Übersee ausgebildet, sie kommen aus dem “Nahen Osten”, aus England, aus Südafrika, Australien, oder aus Deutschland oder der Schweiz. Hier ausgebildete Ärzte wandern dabei zu ebenfalls einem Drittel auf längere Zeit oder auf Dauer ins Ausland ab. Maori schreiben sich nur wenige in das Studium ein; unter den Medizinstudenten sind sehr viele Asiaten aus verschiedenen Ländern.
“Geh nach zwei Tagen zum Hausarzt, dann wird sich entscheiden ob du ein Hauttransplanat brauchst oder nicht” sagt Muhammad, nachdem er nach einer gekonnt gesetzten Betäubung meinen Knöchel versorgt hat. “In zwei Tagen ist ein Feiertag” entgegne ich zögernd. “Siehst du, das ist es was ich meine!” ruft daraufhin der Iraker, “Ihr Deutschen seid immer so übergenau! Wenn ich zwei Tage sage kann ich auch drei meinen.”
Nach einer Weile beginnen mich die Schwestern zu fragen auf was ich noch warte: - ach so, sind Sie noch nicht geröngt? Moment ich hake mal nach... die angekündigte Röntgenaufnahme war in Vergessenheit geraten nachdem die Röntgenassistentin in der Mittagspause war. Auch so kann sich also eine entspannte (“laid back”) Lebenseinstellung äußern....
Später am Tag klingelt das Telefon zuhause: “Hallo ich bin Rob vom Victim Support (Opferhilfe). Ich rufe einfach an um zu fragen wie es Ihnen geht.” Nach dem Gespräch denke ich: sollte der Verursacher nicht auch einen Anruf bekommen? Der muss sich jetzt doch auch schrecklich fühlen...
Später (nach gut einer Woche) ruft auch noch die Polizei an und erkundigt sich nach meinem Befinden: “Wie geht es Ihnen inzwischen? Wir fragen weil wir noch nicht festgelegt haben mit welchem Bußgeld wir den Mann belegen wollen. Was denken Sie? Wenn Sie möchten, warten wir noch und rufen Sie in ein paar Wochen nochmal an.”
Nach (echten) zwei Tagen machte mich dann ein ungutes Gefühl unter dem Verband unruhig und ich entschied mich für einen weiteren Besuch auf der Notfallambulanz, am Feiertag.
Dort wurde ich dem hausärztlichen Notdienst zugeteilt: der Kollege, ein gebürtiger Kiwi diesmal, entschied sich für einen Anruf im nächstgrößeren Krankenhaus, Hamilton, um mich dort vorzustellen. Die Krankenschwester fand es höchste Zeit dass ich komme und kommentierte die Leistungen des Irakers mit zweifelndem Schweigen, was ich in zunehmender Kenntnis der neuseeländischen Mentalität als Missbilligung interpretieren musste. Wieder fühlte ich mich wirklich gut aufgehoben, beide “Health Professionals” nahmen ihre Berufung offenbar sehr ernst.
Da ich offensichtlich keinen Krankenwagen brauchte, fuhr mich meine wunderbare Frau nach Hamilton (wenn man keine wunderbare Frau hat, gibt es auch soziale Fahrdienste in solchen Fällen). Dort wurde ich wieder sehr schnell gesehen, keine Wartezeit am Anfang (was mich überraschte). Man wies uns freundlich einen Platz in einer Behandlungsbucht zu. Es war inzwischen Abend, und der freundliche (diesmal chinesische) Chirurg beurteilte die Wunde und klärte mich über die Perspektive auf. Das Beste wäre ein Hauttransplantat, außer wenn der Knochen beschädigt wäre, dann müßte man eine kompliziertere Deckung vornehmen. Er saß bei uns und ich hatte kein Gefühl von Hast oder Eile. Meine ängstlichen Nachfragen beruhigte er: er wisse was er tue und seine Statistiken seien ausgezeichnet. Heute hätte er noch andere zu operieren aber morgen käme ich bestimmt dran (es dauerte dann noch drei Tage).
Im Laufe der nächsten zwei Stunden wurde ich unzählige Male über meine Geschichte gefragt, ob ich Allergien habe, woher ich (ursprünglich) sei, und nacheinander verschiedenen Stationen zugeteilt, vom Einzelzimmer in's Mehrbettzimmer geschoben. Immer wieder ein kleiner netter Chat. Irgendeine Schwester trieb ein Sandwich für mich auf, und ich durfte später sogar noch ein richtiges Nachtessen bekommen. Dann sollte ich fasten. Über meinem Kopfende prangte ein Schild ”Nil Per Mouth”, nichts durch den Mund, und auf der Zimmertür ein anderes “Why nil per mouth?” mit Erklärungen, dass man sonst bei der OP sterben könne. Ein zweites Schild über meinem Bett lautete bald “High falls risk”, hohes Sturzrisiko. Eine Schwester hatte es angebracht nachdem sie mich beim Toilettengang über sicheren Gang mit Krücken belehren musste.
Mein rechter Bettnachbar war ein etwa 30jähriger gemütlicher Maori, mit dem sehr einfach auszukommen war und der alles von der humorvollen Seite sah. Mundbodenabszeß. Ihm gegenüber ein älterer, ehrwürdiger älterer Gentleman, der ein englisches Flair verströmte. Hauttransplantat nach Hautkrebs (leider sehr häufig hier). Schräg gegenüber ein standig witzelnder Mittzwanziger, dessen Kiefer von wildfremden Streithähnen zertrümmert worden war, die mitten in der Nacht sein Grundstück als Austragungsort für ihre Streitigkeiten gewählt hatten.
Schließlich, nach drei Tagen, war es soweit (ich war insgeheim froh über die Verzögerung weil ich zwischendurch wieder essen durfte und außerdem Angst vor der Narkose hatte). Der Mann der mich zur “Schlachtbank” schieben sollte, stand plötzlich vor meinem Bett. Der allgegenwärtige Small-Talk half mich zu beruhigen, als er mich durch die Gänge schob. Auch er war ein Immigrant, ich glaube aus Israel. Nach einer halben Ewigkeit (so schien es mir) erreichten wir einen extrem modern wirkenden Trakt, wo er mich in einer mit Vorhängen abgetrennten Bucht abstellte. Alles schien neu oder kürzlich renoviert zu sein, im Kontrast zu den eher altbacken wirkenden Krankenzimmern. Nach einer Weile kam der Anaesthesist mit zwei OP-Schwestern. Lächelnd sprach er mich auf deutsch an; es stellte sich heraus dass er Österreicher war (seit zwei Jahren hier). Er entschuldigte sich bei den OP-Schwestern (vermutlich eine Philippinin und eine Pakeha Kiwi), die freundlich dazu lächelten (im Allgemeinen sollte man in Anwesenheit von Neuseeländern die Landessprache zu sprechen, alles andere gilt als unhöflich). Ich bin mir natürlich auch bewusst dass viele deutsche Reisende gerade NICHT auf deutsch angesprochen werden wollen – aber für mich hatte es in diesem Moment etwas Tröstliches. Wieder die Fragen: “Wie ist denn das passiert? Sind Sie gegen irgendetwas allergisch? Nein? Die Krankenschwestern werden Sie das alles noch einmal fragen, aber das ist hier halt so...”.
Dann: “Wenn Ihnen jetzt etwas schwindlig wird, ist das ganz normal, das ist das Medikament.”
Ein paar Stunden später war ich zurück in unserem Zimmer. Ich wollte eigentlich die Zeit nutzen um mich auf einen Fortbildungskurs vorzubereiten den ich gebucht hatte. In der Weise schien mir der Unfall ein Gewinn. Nur kam ich kaum dazu. Zwar lief der Fernseher (auch auf meinen Wunsch hin) nur begrenzte Zeit über den Tag, aber vor allem gab es immer irgendwelchen Gesprächsstoff im Zimmer, ob mit den anderen Patienten oder sogar deren Angehörigen. Es war eine freundliche, helle Grundstimmung, die zu der herrlichen Aussicht passte – und das obwohl meine Zimmergenossen zeitweise kaum verschiedener sein konnten. Abwechslung brachten auch die nette, umgängliche Ergotherapeutin, und die Physiotherapeutin mit dem extrem englischen Akzent, der sich auch nach acht Jahren in Neuseeland noch nicht abgeschwächt hatte. Als der junge Maori entlassen wurde, fragte mich die diensthabende Krankenschwester ob ich nicht noch näher am Fenster liegen wolle. Ein Krankenhaus-Paradies? Na ja, es gab auch so ein paar Sachen die mir auf andere Weise landestypisch schienen: die Anzahl der sich widersprechenden Empfehlungen zur Behandlung und Nachsorge (die sich nach der Entlassung fortsetzten), jede mit Überzeugung vorgetragen, kontrastieren hier mit den Bestrebungen am liebsten alles zu standardisieren und egalisieren im ernsten Bemühen um die Sicherheit des Patienten unabhängig seiner Herkunft und Rasse. Das ist, für mich, einer der anscheinenden Widersprüche der neuseeländischen Seele.
Die verschiedenen Ärzte die, manchmal mehrmals am Tag, zur Visite kamen sagten mir abwechselnd ich könne nachhause gehen und ich sollte noch mindestens fünf Tage bleiben. Ich entschied mich für die zweite Meinung, was dann auch völlig okay war. Es gab auch in anderen Belangen sehr unterschiedliche Handhabungen, zum Beispiel was Medikamente, Kompressionsstrümpfe und Pflege betraf – wiederum je nach Schicht. Auch bezüglich der Wundpflege nach der Entlassung ist mir eine verwirrende Vielfalt von Anweisungen aufgefallen.
Das Essen war sehr klassisch neuseeländisch bzw. englisch. Der Maori neben mir bekam denn auch ein Extra-Essen von seiner Frau gebracht.
Am Tag der Entlassung schliesslich sollte ich, bis mich meine liebe Frau abholen kommen konnte, in der sogenannten Transit Lounge warten, an deren Eingang ich formal ausgecheckt wurde. Kaum hatte der Krankenhausangestellte mich in meinem Rollstuhl in dem etwa mit 20 anderen Wartenden besetzten Raum abgestellt, löste sich eine ältere Frau aus der kleinen Kuechenzeile im Raum und sprach mich freundlich an. “Haben Sie schon etwas zu Mittag gegessen?” Ich verneinte. “Was kann ich Ihnen denn anbieten? Wir haben Sandwiches, Äpfel und Banane, und möchten Sie vielleicht ein Eis mit Wackelpudding? Ich war hungrig, da ich zuletzt gefrühstückt hatte, und ich gebe zu, ich nahm mehreres aus der Auswahl, und einen Tee. Und jetzt kommt's: sie brachte mir den Apfel frisch geschält in mundgerechte Stücke geschnitten. Ich war baff.
Zum Abschluss meines Hamilton Aufenthalts schob mich meine Frau noch durch die Hamilton Gardens (im dort vorgehaltenen Rollstuhl), was den Tag noch richtig rund machte.
Wieder zuhause, ließ ich mich noch von den Bezirkskrankenschwestern weiterbetreuen und anleiten, sie kamen sogar zu mir nach Hause soweit das ging (es ist auch typisch dass ich manchmal freundlich gefragt wurde ob ich ausnahmsweise selber kommen könne – Flexibilität ist auch so ein Merkmal der Kiwis). Ich bekam Termine bei der Krankengymnastik und zur Nachschau beim plastischen Chirurgen.
ACC übernimmt außerdem den Lohnersatz (80% des letzten Gehalts).
Eigentlich die einzige für mich unschöne Erfahrung machte ich als ich mich auf eigene Initiative, und nicht als Notfall, beim Emergency Department vorstellte, um eine gerade wiederholte Röntgenaufnahme zu besprechen: der Wartesaal war zwar leer, jedoch warnte ein Schild gleich: Wartezeit für nicht dringende Patienten: etwa zwei Stunden. Was dann auch fast hinkam. Nach etwa einer Stunde kam ein anderer Patient, der nach etwa zehn Minuten hereingebeten wurde. Ich wartete weiter. Nach weiteren 40 Minuten kam Muhammad, der irakische Arzt, und bat mich herein. So sind sie dann auch wieder, die Kiwis... man sollte die Initiative lieber ihnen überlassen wenn es geht.

Die Goldenen Prinzipien der Kiwi-Gesellschaft

Wer sich in Neuseeland reibungslos integrieren will, sollte nicht nur ein paar Grundzüge der Kiwi-Mentalität verstehen, sondern auch ein paar prinzipielle Verhaltensregeln kennen. Ich bin immer noch von der ermutigenden Freundlichkeit beeindruckt, für die die Neuseeländer bekannt sind. Allerdings darf das nicht darüber hinwegtäuschen dass die Neuseeländer „normale“ Menschen sind und ihre Gesellschaft wie die unsere nach bestimmten Regeln funktioniert.

Freundlichkeit ist hier etwas ganz Elementares und ein Grundpfeiler des neuseeländischen Miteinanders. Sie bringt Wärme und Sonnenschein ins Leben. Es ist für den typischen Deutschen wie mich einfach beeindruckend wie willkommen man sich hier fühlt, von Anfang an. Jeder hat Zeit, es gibt keine Hetze, immer aufmerksame Blicke, unerwartete Hilfsangebote. Ob man irgendwie verloren aussieht, oder gezielt nach Hilfe fragt, man fühlt sich nie allein gelassen.
Und rempelt man im Supermarkt einen anderen Kunden an, wird dieser dafür sich meist sofort mit einem „sorry“ entschuldigen.
Die andere Seite ist natürlich, dass solche Freundlichkeit vermutlich auf Dauer auch von einem selbst erwartet wird. Unfreundlichkeit, oder anders ausgedrückt, das Zeigen von Ärger ist für die meisten Einheimischen ein Ausnahmezustand, ein Scheitern der Begegnung.
Ein Neuseeländer wird immer bemüht sein dass man sich in seiner Gesellschaft einfach wohlfühlt, dass es einem an Nichts fehlt. Andererseits wird er gerne Themen vermeiden, die „unnötig“ Schwere in den Moment der Begegnung bringen. Ganz im Gegensatz zum Deutschen wird er dazu tendieren, vorwiegend positive Äußerungen zu machen: zum Beispiel wird er die Konversation gern eröffnen mit einer Bemerkung wie: „Isn't it a beautiful day today?“ statt „was eine Affenhitze schon wieder heute“ (bei identischen Wetterverhältnissen wohlgemerkt!). Bei uns gilt aus bestimmten Gründen die negative Bemerkung als konversationell sicherer. Hier würde dieselbe deutliche Verunsicherung hervorrufen, im Idealfall auch mitfühlende Anteilnahme (es wäre ein Signal dass es dir aus irgendeinem Grund nicht gut geht und du Hilfe brauchst). Ebenso wichtig ist es, die Konversation mit einer positiven Formel zu beenden: „Thanks“, „See you“, „Cheers“, oder „Good one“ sind Beispiele.

Ermutigung und Lob holen dabei das Beste aus dem Menschen heraus, fördert seine Stärken und macht sie der Gesellschaft verfügbar. Bescheidenheit ist die überraschende Antwort. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse dieser Gesellschaft?
Komisch dass uns das in Deutschland so schwer fällt, ja geradezu verdächtig erscheint: „net geschumpfe is gnueg globt“ sagt man im Schwabenland, wo ich zuletzt gewohnt habe. Was kann denn passieren wenn wir zu viel loben? Gibt es das, zu viel? Hier ist das jedenfalls kein Problem. Und es verleitet auch niemanden dazu eingebildet zu werden. Lob ist hier allgegenwärtig, Eigenlob oder Angeberei hingegen fehlen, weil sie verpönt sind. Ist Eigenlob bei uns vielleicht deshalb OK weil es so wenig Lob gibt?
Wie sehr den Neuseeländern jede Arroganz suspekt ist, lässt sich auch schön am sogenannten „Tall-Poppy-Syndrom“ ablesen, dem Syndrom der zu großen Mohnblume in Feld, die gleich abgepflückt wird. Jemand, der sich selbst für etwas Besseres hält und das zur Schau stellen muss, bekommt hier eher die kalte Schulter gezeigt. Die logische Folge ist, dass Hierarchien hier wesentlich flacher gelebt werden. Eine übergeordnete Stellung im Betrieb oder ein Vorsprung in Wissen oder Können wird nie zur Schau gestellt, jeder ist gleichwertiges Glied der Gesellschaft. Klingt etwas wie Utopie, ist aber täglich erfahrbar. Es fühlt sich nicht so viel anders an, ob ich in unserer Organisation mit der Reinemachefrau oder mit dem CEO (leitender Manager) spreche. Dazu passt, dass der Nachnahme hier sehr selten verwendet wird; selbst der CEO wird von allen im Betrieb mit dem Vornamen angesprochen und tut das umgekehrt. Klassenunterschiede sind zwar vorhanden, werden aber im direkten Umgang möglichst nicht spürbar gemacht.
Gleichzeitig wird erwartet, dass ich mich wirklich als Teil des Teams fühle und einbringe – sich nicht als Teil des Teams zu verhalten ist denn auch eine der schlimmsten Kritiken die man (meist nicht direkt) hören kann.
Ich habe lernen müssen, möglichst nie einen Satz mit „In Deutschland machen wir das so:“ anzufangen, und meine Söhne haben gelernt alles zu vermeiden und zu verstecken was Neid erregen könnte. Nach dem kürzlichen Besuch einer Theateraufführung in der Highschool meiner Kinder sagte eine Mutter zu uns: „das schöne an diesem Stück ist, dass hier niemand eine Starrolle hat“ - was die Haltung der Neuseeländer sehr gut widerspiegelt.
Es gibt Veranstaltungen, die vom Lob „leben“, z.B. Schulabschlussveranstaltungen, bei denen zwei Stunden lang im Wesentlichen nur Schüler auf die Bühne gebeten und ausgezeichnet werden. Der feine Unterschied ist, dass es dabei im Kern um Leistungen für eine Gesellschaft (des Volkes, der Schule) geht.
Respekt wird dabei auch dem Unvollkommenen entgegengebracht, der auch Teil der Gesellschaft ist und sich mit eben seinen individuellen Möglichkeiten und Eigenschaften einbringt.

Mitmachen ist also wichtig, wobei es hier weniger um bloßes „Teilnehmen“ als um „sich Einbringen“ geht. Das kann soweit gehen, dass die bei uns gewohnte Trennung von Veranstalter und Gast oft verschwimmt. Der oft gesagte und gehörte Satz „bring a plate“ ist Ausdruck dieser Haltung und Praxis, dass jeder zum Gelingen des Festes beiträgt. Es ist durchaus nicht unüblich, dass selbst bei einer Geburtstagsfeier die Gäste Essen beisteuern. Als ich demletzt zu meinem 50igsten Geburtstag Kollegen in ein Restaurant einlud, wollten diese ihre Rechnung zunächst jeder selber bezahlen. Im Extremfall kann das Helfen sogar die Hauptsache werden: sehr viele schöne gesellschaftliche Veranstaltungen sind bei näherem Hinsehen sogenannte „Fundraiser“, also Benefiz-Veranstaltungen für die unterschiedlichsten Belange: z.B. eine Schule, oder einfach für ein krankes Kind oder einen überfallenen Nachbarn.
Eine weitere Variante ist die sogenannte „Working Bee“, eine Hilfs- Renovierungs- oder Aufräum-Veranstaltung bei der die Hilfe zur Hauptsache wird und die Sozialisierung und Verpflegung zur Nebensache.
Auch kann man beobachten (und besser nicht nur beobachten) dass nach einer Party oder sonstigen Einladung die Gäste helfen, die ursprüngliche Ordnung wieder herzustellen und sich erst danach verabschieden, wenn sie nicht schon beim Aufbauen geholfen haben.

Kontakte knüpfen geht schnell und die Begegnungen sind leicht und unkompliziert. Die Begegnung ist auf das Hier und Jetzt ausgerichtet: genieße und nimm etwas Abstand vom schweren deutschen Freundschaftsbegriff. Dein Gegenüber wird dir oft gerne alle erdenkliche Hilfe anbieten, sich allerdings später nicht so sklavisch an sein Angebot gebunden fühlen wie das in Deutschland vielleicht der Fall wäre. Da kann es schon mal zu einer Enttäuschung kommen, denn ein die meisten Kiwis geben gerne ein Versprechen und werden dann manchmal vom Alltag eingeholt. Auf der anderen Seite erlebt man es kaum dass man mit einem Anliegen „abgewimmelt“ wird. Es wird sichergestellt, dass du zumindestens einen guten Tipp bekommst der dir weiterhilft.
Ich fasse zusammen: wenn du es hier leicht haben und auf Dauer glücklich werden wirst, werde auch ein bisschen Kiwi.

Ein Nachsatz: Man fragt sich welchen Stellenwert Kritik in dieser wertschätzenden Atmosphäre hat.
Zunächst einmal ist die Toleranz gegenüber dem (noch) Unvollkommenen wesentlich größer als wir Deutschen es gewohnt sind. Man gibt vor allem den Dingen mehr Zeit sich zu entwickeln. Pflanzen wachsen ja bekanntlich nicht schneller wenn man an ihnen zieht. Zu ungeduldige oder konfrontative Vorgehensweisen landen im sogenannten „too hard-bucket“, dem „zu hart-Eimer“. Man trifft dann auf Stille oder höfliche Zustimmung, die aber zu nichts führt. Man lernt, dass in der Botschaft keine Kränkung oder Überforderung enthalten sein sollte und Wille zur Zusammenarbeit sichtbar wird.
In einer sich kümmernden, konstruktiven Kritik (die ja das Gegenteil von Mobbing darstellt), wird hier gerne die sogenannte „Sandwich-Technik“ angewandt: Einleitung mit einem Lob oder einer feinfühligen Frage, erst danach eine höfliche und konstruktive Kritik, dann ein abschließendes Lob.
Ansonsten sollte man lernen auch zwischen den Zeilen zu lesen. „Ausrutscher“ gibt es hier selten.
Da dieses Land in vielen Belangen vorbildlich funktioniert habe ich mich fragen müssen ob harte Konfrontation und Ausdiskutieren der einzige Weg sind um gemeinsam zu Lösungen zu finden. Mit der Zeit habe ich auch immer mehr bewundern gelernt, wie kreativ die Menschen hier letztendlich im Lösen von Problemen sind.