Wer sich in Neuseeland reibungslos
integrieren will, sollte nicht nur ein paar Grundzüge der
Kiwi-Mentalität verstehen, sondern auch ein paar prinzipielle
Verhaltensregeln kennen. Ich bin immer noch von der ermutigenden
Freundlichkeit beeindruckt, für die die Neuseeländer bekannt sind.
Allerdings darf das nicht darüber hinwegtäuschen dass die
Neuseeländer „normale“ Menschen sind und ihre Gesellschaft wie
die unsere nach bestimmten Regeln funktioniert.
Freundlichkeit ist
hier etwas ganz Elementares und ein Grundpfeiler des
neuseeländischen Miteinanders. Sie bringt Wärme und Sonnenschein
ins Leben. Es ist für den typischen Deutschen wie mich einfach
beeindruckend wie willkommen man sich hier fühlt, von Anfang an.
Jeder hat Zeit, es gibt keine Hetze, immer aufmerksame Blicke,
unerwartete Hilfsangebote. Ob man irgendwie verloren aussieht, oder
gezielt nach Hilfe fragt, man fühlt sich nie allein gelassen.
Und rempelt man im Supermarkt einen
anderen Kunden an, wird dieser dafür sich meist sofort mit einem
„sorry“ entschuldigen.
Die andere Seite ist natürlich, dass
solche Freundlichkeit vermutlich auf Dauer auch von einem selbst
erwartet wird. Unfreundlichkeit, oder anders ausgedrückt, das Zeigen
von Ärger ist für die meisten Einheimischen ein Ausnahmezustand,
ein Scheitern der Begegnung.
Ein Neuseeländer wird immer bemüht
sein dass man sich in seiner Gesellschaft einfach wohlfühlt, dass es
einem an Nichts fehlt. Andererseits wird er gerne Themen vermeiden,
die „unnötig“ Schwere in den Moment der Begegnung bringen. Ganz
im Gegensatz zum Deutschen wird er dazu tendieren, vorwiegend
positive Äußerungen zu machen: zum Beispiel wird er die
Konversation gern eröffnen mit einer Bemerkung wie: „Isn't it a
beautiful day today?“ statt „was eine Affenhitze schon wieder
heute“ (bei identischen Wetterverhältnissen wohlgemerkt!). Bei uns
gilt aus bestimmten Gründen die negative Bemerkung als
konversationell sicherer. Hier würde dieselbe deutliche
Verunsicherung hervorrufen, im Idealfall auch mitfühlende
Anteilnahme (es wäre ein Signal dass es dir aus irgendeinem Grund
nicht gut geht und du Hilfe brauchst). Ebenso wichtig ist es, die
Konversation mit einer positiven Formel zu beenden: „Thanks“,
„See you“, „Cheers“, oder „Good one“ sind Beispiele.
Ermutigung und Lob holen
dabei das Beste aus dem Menschen heraus, fördert seine Stärken und
macht sie der Gesellschaft verfügbar. Bescheidenheit ist
die überraschende Antwort. Vielleicht
ist das eines der Geheimnisse dieser Gesellschaft?
Komisch dass uns
das in Deutschland so schwer fällt, ja geradezu verdächtig
erscheint: „net geschumpfe is gnueg globt“ sagt man im
Schwabenland, wo ich zuletzt gewohnt habe. Was kann denn passieren
wenn wir zu viel loben? Gibt es das, zu viel? Hier ist das jedenfalls
kein Problem. Und es verleitet auch niemanden dazu eingebildet zu
werden. Lob ist hier allgegenwärtig, Eigenlob oder Angeberei
hingegen fehlen, weil sie verpönt sind. Ist Eigenlob bei uns
vielleicht deshalb OK weil es so wenig Lob gibt?
Wie sehr den
Neuseeländern jede Arroganz suspekt ist, lässt sich auch schön am
sogenannten „Tall-Poppy-Syndrom“ ablesen, dem Syndrom der zu
großen Mohnblume in Feld, die gleich abgepflückt wird. Jemand, der
sich selbst für etwas Besseres hält und das zur Schau stellen muss,
bekommt hier eher die kalte Schulter gezeigt. Die logische Folge ist,
dass Hierarchien hier wesentlich flacher gelebt werden. Eine
übergeordnete Stellung im Betrieb oder ein Vorsprung in Wissen oder
Können wird nie zur Schau gestellt, jeder ist gleichwertiges Glied
der Gesellschaft. Klingt etwas wie Utopie, ist aber täglich
erfahrbar. Es fühlt sich nicht so viel anders an, ob ich in unserer
Organisation mit der Reinemachefrau oder mit dem CEO (leitender
Manager) spreche. Dazu passt, dass der Nachnahme hier sehr selten
verwendet wird; selbst der CEO wird von allen im Betrieb mit dem
Vornamen angesprochen und tut das umgekehrt. Klassenunterschiede sind
zwar vorhanden, werden aber im direkten Umgang möglichst nicht
spürbar gemacht.
Gleichzeitig wird
erwartet, dass ich mich wirklich als Teil des Teams fühle und
einbringe – sich nicht als Teil des Teams zu verhalten ist denn
auch eine der schlimmsten Kritiken die man (meist nicht direkt) hören
kann.
Ich habe lernen
müssen, möglichst nie einen Satz mit „In Deutschland machen wir
das so:“ anzufangen, und meine Söhne haben gelernt alles zu
vermeiden und zu verstecken was Neid erregen könnte. Nach dem
kürzlichen Besuch einer Theateraufführung in der Highschool meiner
Kinder sagte eine Mutter zu uns: „das schöne an diesem Stück ist,
dass hier niemand eine Starrolle hat“ - was die Haltung der
Neuseeländer sehr gut widerspiegelt.
Es gibt
Veranstaltungen, die vom Lob „leben“, z.B.
Schulabschlussveranstaltungen, bei denen zwei Stunden lang im
Wesentlichen nur Schüler auf die Bühne gebeten und ausgezeichnet
werden. Der feine Unterschied ist, dass es dabei im Kern um
Leistungen für eine Gesellschaft (des Volkes, der Schule) geht.
Respekt wird dabei
auch dem Unvollkommenen entgegengebracht, der auch Teil der
Gesellschaft ist und sich mit eben seinen individuellen Möglichkeiten
und Eigenschaften einbringt.
Mitmachen ist
also wichtig, wobei es hier weniger um bloßes „Teilnehmen“
als um „sich Einbringen“
geht. Das kann soweit gehen, dass die bei uns gewohnte Trennung von
Veranstalter und Gast oft verschwimmt. Der oft gesagte und gehörte
Satz „bring a plate“ ist Ausdruck dieser Haltung und Praxis, dass
jeder zum Gelingen des Festes beiträgt. Es ist durchaus nicht
unüblich, dass selbst bei einer Geburtstagsfeier die Gäste Essen
beisteuern. Als ich demletzt zu meinem 50igsten Geburtstag Kollegen
in ein Restaurant einlud, wollten diese ihre Rechnung zunächst jeder
selber bezahlen. Im Extremfall kann das Helfen sogar die Hauptsache
werden: sehr viele schöne gesellschaftliche Veranstaltungen sind bei
näherem Hinsehen sogenannte „Fundraiser“, also
Benefiz-Veranstaltungen für die unterschiedlichsten Belange: z.B.
eine Schule, oder einfach für ein krankes Kind oder einen
überfallenen Nachbarn.
Eine weitere
Variante ist die sogenannte „Working Bee“, eine Hilfs-
Renovierungs- oder Aufräum-Veranstaltung bei der die Hilfe zur
Hauptsache wird und die Sozialisierung und Verpflegung zur
Nebensache.
Auch kann man
beobachten (und besser nicht nur beobachten) dass nach einer Party
oder sonstigen Einladung die Gäste helfen, die ursprüngliche
Ordnung wieder herzustellen und sich erst danach verabschieden, wenn
sie nicht schon beim Aufbauen geholfen haben.
Kontakte knüpfen geht schnell
und die Begegnungen sind leicht und unkompliziert. Die Begegnung ist
auf das Hier und Jetzt ausgerichtet: genieße und nimm etwas Abstand
vom schweren deutschen Freundschaftsbegriff. Dein Gegenüber wird dir
oft gerne alle erdenkliche Hilfe anbieten, sich allerdings später
nicht so sklavisch an sein Angebot gebunden fühlen wie das in
Deutschland vielleicht der Fall wäre. Da kann es schon mal zu einer
Enttäuschung kommen, denn ein die meisten Kiwis geben gerne ein
Versprechen und werden dann manchmal vom Alltag eingeholt. Auf der
anderen Seite erlebt man es kaum dass man mit einem Anliegen
„abgewimmelt“ wird. Es wird sichergestellt, dass du zumindestens
einen guten Tipp bekommst der dir weiterhilft.
Ich fasse zusammen: wenn du es hier
leicht haben und auf Dauer glücklich werden wirst, werde auch ein
bisschen Kiwi.
Ein Nachsatz: Man
fragt sich welchen Stellenwert Kritik in
dieser wertschätzenden Atmosphäre hat.
Zunächst einmal
ist die Toleranz gegenüber dem (noch) Unvollkommenen wesentlich
größer als wir Deutschen es gewohnt sind. Man gibt vor allem den
Dingen mehr Zeit sich zu entwickeln. Pflanzen wachsen ja bekanntlich
nicht schneller wenn man an ihnen zieht. Zu ungeduldige oder
konfrontative Vorgehensweisen landen im sogenannten „too
hard-bucket“, dem „zu hart-Eimer“. Man trifft dann auf Stille
oder höfliche Zustimmung, die aber zu nichts führt. Man lernt, dass
in der Botschaft keine Kränkung oder Überforderung enthalten sein
sollte und Wille zur Zusammenarbeit sichtbar wird.
In
einer sich kümmernden, konstruktiven Kritik (die ja das Gegenteil
von Mobbing darstellt), wird hier gerne die sogenannte
„Sandwich-Technik“ angewandt: Einleitung mit einem Lob oder einer
feinfühligen Frage, erst danach eine höfliche und konstruktive
Kritik, dann ein abschließendes
Lob.
Ansonsten sollte
man lernen auch zwischen den Zeilen zu lesen. „Ausrutscher“ gibt
es hier selten.
Da dieses Land in vielen Belangen
vorbildlich funktioniert habe ich mich fragen müssen ob harte
Konfrontation und Ausdiskutieren der einzige Weg sind um gemeinsam zu
Lösungen zu finden. Mit der Zeit habe ich auch immer mehr bewundern
gelernt, wie kreativ die Menschen hier letztendlich im Lösen von
Problemen sind.
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