Samstag, 15. März 2014

Die Goldenen Prinzipien der Kiwi-Gesellschaft

Wer sich in Neuseeland reibungslos integrieren will, sollte nicht nur ein paar Grundzüge der Kiwi-Mentalität verstehen, sondern auch ein paar prinzipielle Verhaltensregeln kennen. Ich bin immer noch von der ermutigenden Freundlichkeit beeindruckt, für die die Neuseeländer bekannt sind. Allerdings darf das nicht darüber hinwegtäuschen dass die Neuseeländer „normale“ Menschen sind und ihre Gesellschaft wie die unsere nach bestimmten Regeln funktioniert.

Freundlichkeit ist hier etwas ganz Elementares und ein Grundpfeiler des neuseeländischen Miteinanders. Sie bringt Wärme und Sonnenschein ins Leben. Es ist für den typischen Deutschen wie mich einfach beeindruckend wie willkommen man sich hier fühlt, von Anfang an. Jeder hat Zeit, es gibt keine Hetze, immer aufmerksame Blicke, unerwartete Hilfsangebote. Ob man irgendwie verloren aussieht, oder gezielt nach Hilfe fragt, man fühlt sich nie allein gelassen.
Und rempelt man im Supermarkt einen anderen Kunden an, wird dieser dafür sich meist sofort mit einem „sorry“ entschuldigen.
Die andere Seite ist natürlich, dass solche Freundlichkeit vermutlich auf Dauer auch von einem selbst erwartet wird. Unfreundlichkeit, oder anders ausgedrückt, das Zeigen von Ärger ist für die meisten Einheimischen ein Ausnahmezustand, ein Scheitern der Begegnung.
Ein Neuseeländer wird immer bemüht sein dass man sich in seiner Gesellschaft einfach wohlfühlt, dass es einem an Nichts fehlt. Andererseits wird er gerne Themen vermeiden, die „unnötig“ Schwere in den Moment der Begegnung bringen. Ganz im Gegensatz zum Deutschen wird er dazu tendieren, vorwiegend positive Äußerungen zu machen: zum Beispiel wird er die Konversation gern eröffnen mit einer Bemerkung wie: „Isn't it a beautiful day today?“ statt „was eine Affenhitze schon wieder heute“ (bei identischen Wetterverhältnissen wohlgemerkt!). Bei uns gilt aus bestimmten Gründen die negative Bemerkung als konversationell sicherer. Hier würde dieselbe deutliche Verunsicherung hervorrufen, im Idealfall auch mitfühlende Anteilnahme (es wäre ein Signal dass es dir aus irgendeinem Grund nicht gut geht und du Hilfe brauchst). Ebenso wichtig ist es, die Konversation mit einer positiven Formel zu beenden: „Thanks“, „See you“, „Cheers“, oder „Good one“ sind Beispiele.

Ermutigung und Lob holen dabei das Beste aus dem Menschen heraus, fördert seine Stärken und macht sie der Gesellschaft verfügbar. Bescheidenheit ist die überraschende Antwort. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse dieser Gesellschaft?
Komisch dass uns das in Deutschland so schwer fällt, ja geradezu verdächtig erscheint: „net geschumpfe is gnueg globt“ sagt man im Schwabenland, wo ich zuletzt gewohnt habe. Was kann denn passieren wenn wir zu viel loben? Gibt es das, zu viel? Hier ist das jedenfalls kein Problem. Und es verleitet auch niemanden dazu eingebildet zu werden. Lob ist hier allgegenwärtig, Eigenlob oder Angeberei hingegen fehlen, weil sie verpönt sind. Ist Eigenlob bei uns vielleicht deshalb OK weil es so wenig Lob gibt?
Wie sehr den Neuseeländern jede Arroganz suspekt ist, lässt sich auch schön am sogenannten „Tall-Poppy-Syndrom“ ablesen, dem Syndrom der zu großen Mohnblume in Feld, die gleich abgepflückt wird. Jemand, der sich selbst für etwas Besseres hält und das zur Schau stellen muss, bekommt hier eher die kalte Schulter gezeigt. Die logische Folge ist, dass Hierarchien hier wesentlich flacher gelebt werden. Eine übergeordnete Stellung im Betrieb oder ein Vorsprung in Wissen oder Können wird nie zur Schau gestellt, jeder ist gleichwertiges Glied der Gesellschaft. Klingt etwas wie Utopie, ist aber täglich erfahrbar. Es fühlt sich nicht so viel anders an, ob ich in unserer Organisation mit der Reinemachefrau oder mit dem CEO (leitender Manager) spreche. Dazu passt, dass der Nachnahme hier sehr selten verwendet wird; selbst der CEO wird von allen im Betrieb mit dem Vornamen angesprochen und tut das umgekehrt. Klassenunterschiede sind zwar vorhanden, werden aber im direkten Umgang möglichst nicht spürbar gemacht.
Gleichzeitig wird erwartet, dass ich mich wirklich als Teil des Teams fühle und einbringe – sich nicht als Teil des Teams zu verhalten ist denn auch eine der schlimmsten Kritiken die man (meist nicht direkt) hören kann.
Ich habe lernen müssen, möglichst nie einen Satz mit „In Deutschland machen wir das so:“ anzufangen, und meine Söhne haben gelernt alles zu vermeiden und zu verstecken was Neid erregen könnte. Nach dem kürzlichen Besuch einer Theateraufführung in der Highschool meiner Kinder sagte eine Mutter zu uns: „das schöne an diesem Stück ist, dass hier niemand eine Starrolle hat“ - was die Haltung der Neuseeländer sehr gut widerspiegelt.
Es gibt Veranstaltungen, die vom Lob „leben“, z.B. Schulabschlussveranstaltungen, bei denen zwei Stunden lang im Wesentlichen nur Schüler auf die Bühne gebeten und ausgezeichnet werden. Der feine Unterschied ist, dass es dabei im Kern um Leistungen für eine Gesellschaft (des Volkes, der Schule) geht.
Respekt wird dabei auch dem Unvollkommenen entgegengebracht, der auch Teil der Gesellschaft ist und sich mit eben seinen individuellen Möglichkeiten und Eigenschaften einbringt.

Mitmachen ist also wichtig, wobei es hier weniger um bloßes „Teilnehmen“ als um „sich Einbringen“ geht. Das kann soweit gehen, dass die bei uns gewohnte Trennung von Veranstalter und Gast oft verschwimmt. Der oft gesagte und gehörte Satz „bring a plate“ ist Ausdruck dieser Haltung und Praxis, dass jeder zum Gelingen des Festes beiträgt. Es ist durchaus nicht unüblich, dass selbst bei einer Geburtstagsfeier die Gäste Essen beisteuern. Als ich demletzt zu meinem 50igsten Geburtstag Kollegen in ein Restaurant einlud, wollten diese ihre Rechnung zunächst jeder selber bezahlen. Im Extremfall kann das Helfen sogar die Hauptsache werden: sehr viele schöne gesellschaftliche Veranstaltungen sind bei näherem Hinsehen sogenannte „Fundraiser“, also Benefiz-Veranstaltungen für die unterschiedlichsten Belange: z.B. eine Schule, oder einfach für ein krankes Kind oder einen überfallenen Nachbarn.
Eine weitere Variante ist die sogenannte „Working Bee“, eine Hilfs- Renovierungs- oder Aufräum-Veranstaltung bei der die Hilfe zur Hauptsache wird und die Sozialisierung und Verpflegung zur Nebensache.
Auch kann man beobachten (und besser nicht nur beobachten) dass nach einer Party oder sonstigen Einladung die Gäste helfen, die ursprüngliche Ordnung wieder herzustellen und sich erst danach verabschieden, wenn sie nicht schon beim Aufbauen geholfen haben.

Kontakte knüpfen geht schnell und die Begegnungen sind leicht und unkompliziert. Die Begegnung ist auf das Hier und Jetzt ausgerichtet: genieße und nimm etwas Abstand vom schweren deutschen Freundschaftsbegriff. Dein Gegenüber wird dir oft gerne alle erdenkliche Hilfe anbieten, sich allerdings später nicht so sklavisch an sein Angebot gebunden fühlen wie das in Deutschland vielleicht der Fall wäre. Da kann es schon mal zu einer Enttäuschung kommen, denn ein die meisten Kiwis geben gerne ein Versprechen und werden dann manchmal vom Alltag eingeholt. Auf der anderen Seite erlebt man es kaum dass man mit einem Anliegen „abgewimmelt“ wird. Es wird sichergestellt, dass du zumindestens einen guten Tipp bekommst der dir weiterhilft.
Ich fasse zusammen: wenn du es hier leicht haben und auf Dauer glücklich werden wirst, werde auch ein bisschen Kiwi.

Ein Nachsatz: Man fragt sich welchen Stellenwert Kritik in dieser wertschätzenden Atmosphäre hat.
Zunächst einmal ist die Toleranz gegenüber dem (noch) Unvollkommenen wesentlich größer als wir Deutschen es gewohnt sind. Man gibt vor allem den Dingen mehr Zeit sich zu entwickeln. Pflanzen wachsen ja bekanntlich nicht schneller wenn man an ihnen zieht. Zu ungeduldige oder konfrontative Vorgehensweisen landen im sogenannten „too hard-bucket“, dem „zu hart-Eimer“. Man trifft dann auf Stille oder höfliche Zustimmung, die aber zu nichts führt. Man lernt, dass in der Botschaft keine Kränkung oder Überforderung enthalten sein sollte und Wille zur Zusammenarbeit sichtbar wird.
In einer sich kümmernden, konstruktiven Kritik (die ja das Gegenteil von Mobbing darstellt), wird hier gerne die sogenannte „Sandwich-Technik“ angewandt: Einleitung mit einem Lob oder einer feinfühligen Frage, erst danach eine höfliche und konstruktive Kritik, dann ein abschließendes Lob.
Ansonsten sollte man lernen auch zwischen den Zeilen zu lesen. „Ausrutscher“ gibt es hier selten.
Da dieses Land in vielen Belangen vorbildlich funktioniert habe ich mich fragen müssen ob harte Konfrontation und Ausdiskutieren der einzige Weg sind um gemeinsam zu Lösungen zu finden. Mit der Zeit habe ich auch immer mehr bewundern gelernt, wie kreativ die Menschen hier letztendlich im Lösen von Problemen sind.

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